Homeschooling in der stationären Kinder- und Jugendhilfe

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Eine Bewertung eines leitenden Mitarbeiters der Kinder- und Jugendhilfe

Homeschooling ist für viele Familien eine neue Erfahrung. Hier übernimmt in der Regel ein Elternteil die Betreuung des eigenen Kindes bzw. der eigenen Kinder. Momentan wirkt es, als solle neben Homeoffice auch Homeschooling als eine Art zukunftsweisendes Erfolgsmodell in Teilen fest verankert werden.

Die Digitalisierung der Schulen und Homeschooling sollten hier bitte unabhängig voneinander betrachtet werden. Schule ist so viel mehr als Online-Konferenzen, SchulApps, Tutorials, YouTube-Videos, Arbeitsmappen, Wochenpläne, Aufgabenblätter und jede Menge Messenger-Dienste. Der bekannte rote Faden ist für die Geschwister-Gummi-Stiftung in der Kinder- und Jugendhilfe nur dünn erkennbar. Die Lehrkräfte sollen nun einfach auf anderem Weg kreativ Lerninhalte vermitteln. In der Frage der Umsetzung wirkt es, als versuche jede Schule -  aber auch jede einzelne  Lehrkraft -  diese neuen Anforderungen bestmöglich zu erfüllen und Erfolge bei der Digitalisierung dem Kultusministerium deutlich zu machen.

Warum ich mir als Mitarbeiter der Jugendhilfe eine Bewertung erlaube…

Wenn belastende Erfahrungen ein Zusammenleben mit der eigenen Familie unmöglich machen, gibt es in der Geschwister-Gummi-Stiftung die Möglichkeit für junge Menschen, in Wohngruppen zu leben. Wir helfen Kindern und ihren Herkunftsfamilien dabei, neue und tragfähige Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Dieses Zusammenleben ist Teil der öffentlichen Fürsorge und, wie viele andere Hilfen auch, ein wichtiger Bestandteil des sozialen Miteinanders unserer Gesellschaft. Alle Kinder, die in den Wohngruppen der Geschwister-Gummi-Stiftung leben, benötigen besondere pädagogische und therapeutische Rahmenbedingungen.

Die Kinder im Schulalter besuchen alle bekannten Schularten und diese Teilhabe am öffentlichen Leben ist wichtiger Bestandteil unserer Pädagogik. Homeschooling findet momentan natürlich auch in unseren Wohngruppen statt – in Vertretung der Eltern übernehmen dies die pädagogischen Mitarbeitenden. Das bedeutet, es entsteht erstmal ein deutlicher personeller Mehrbedarf, da im Normalfall die Wohngruppe am Vormittag personell nicht besetzt ist.

Auch der Bereich stationäres Wohnen ist systemrelevant und ohne Zweifel sind die Kinder durch die Schulschließung besser geschützt. Wir stehen hinter den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, benötigen aber auch Verständnis für unser System.

Am Vormittag unterrichten wir in neuer Rolle bis zu 9 Kinder und Jugendliche pro Wohngruppe in verschiedenem Alter (Schulklasse) und begleiten diese beim Lernen. Ein - 1 zu 1 - oder - 1 zu 2 -  wie in Familien zu Hause ist dabei natürlich nicht möglich. Wir versuchen Struktur zu schaffen und bei Bedarf Hilfestellung zu leisten. Wir verwalten hierbei zig Passwörter und Benutzerkonten und versuchen mit unserer technischen Ausstattung den Kindern  eine erfolgreiche Teilnahme am Homeschooling zu ermöglichen. Aus Datenschutzgründen können wir Notebooks und Co nur dienstlich oder eben für private Dinge wie Homeschooling nutzen bzw. diese den Kindern überlassen. Noch haben nicht alle Kinder eigene Geräte zur Verfügung, aber alle haben mittlerweile den Zugang. Hier auch ein großes Dankeschön an einige Spender, mit deren Hilfe war die Anschaffung von einigen Laptops möglich.

Es gibt „Unterrichtstage“, da beginnen alle Kinder zeitgleich mit einer digitalen Konferenz – Serverabstürze als Folge. Netzwerke mussten dazu erweitert werden, Zugänge wurden geschaffen und sensible Daten wurden gesichert. In einer Familie übernimmt häufig eine Person die Betreuung – bei uns muss dies täglich durch unterschiedliches Fachpersonal abgesichert werden – die Fallverantwortung lässt es nicht zu, Mitarbeiter*innen nur mit dem Homeschooling zu beauftragen.

Alle Mitarbeitenden im Team müssen digital fit sein, egal ob Mebis, Paddlet, Schoolfox, Edupage, Sofatutor, Signal, WhatsApp, Anton und Antolin, Sdui, Jitsi, Adobe Reader, MS Teams, Zoom,  …. der Umgang damit muss dem*r  Mitarbeiter*in geläufig sein!
Besonders bei der Rückgabe von Schulaufgaben ist kreativer Umgang gefragt, ob Abgabe per Mail an einzelne Lehrkräfte, Abgabe in der Schule, Abgabe via Foto oder Screenshot – wie schon erwähnt alles immer für bis zu 9 Schulkinder und just in time.  

Aufgrund der vorausgegangenen Erfahrungen in ihrer Entwicklung  gehen die Kinder, die in unseren Wohngruppen leben, auch mit dem Homeschooling herausfordernd um. Sie haben auch am Vormittag Krisen und  fühlen sich überfordert. Oft stellen viele Arbeitsblätter erstmal eine schier unüberwindbare Hürde dar. Wir versuchen alles, damit die Kinder neben ihrem ganz persönlichen familiären Schicksaal nicht auch noch als Verlierer in schulischen Dingen aus der Pandemie kommen.

Durch Krankheit oder Quarantäne gibt es zudem immer wieder personelle Engpässe. Momentan tragen alle Mitarbeitenden bei der Arbeit FFP2-Masken, natürlich schränken diese die pädagogische Arbeit ein, dienen aber dem Schutz von uns allen. Lehrkräfte wissen, wie anstrengend ein Unterricht mit diesen Masken ist, der Lehrer*innenverband bestätigte dies. Wir versuchen mit unseren Möglichkeiten auch in Zeiten der Pandemie gute Arbeitsbedingungen im Homeschooling für die Kinder zu schaffen.

Man könnte noch weitere Herausforderungen und Besonderheiten auflisten, ein Einblick sollte an dieser Stelle reichen. Sicher sind wir uns mit den Lehrkräften und Eltern einig – Homeschooling kann Schule nur ergänzen, nicht ersetzen. Eltern sind Eltern, wir sind pädagogische Fachkräfte  und Lehrer sind Lehrer. Aufgaben dieser Gruppen sollten sich nicht zu sehr vermischen.

Präsenzunterricht hat eine ganz andere, vor allem bessere Qualität. Digitale Kommunikation hat einen geringeren Wert beim Lernen!  Soziale Kontakte, Freundschaften, Herausforderungen des normalen Schulalltags fehlen. Folgen werden sich nach der Krise zeigen. Gerade jetzt heißt es, Verständnis füreinander und im Miteinander zu zeigen.  Eltern versuchen ihr Bestes in Sachen Homeschooling, die Mehrheit der Lehrkräfte und wir eben auch. Es ist unsere Aufgabe, die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen als Ganzes zu betrachten und es ist unsere Verantwortung, sie in diesen Pandemiezeiten nicht allein zu lassen.

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