Nicht strafend, sondern erziehend: Gemeinnützige Arbeitsstunden, wie sie von der Jugendwerkstatt der Geschwister-Gummi-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht Kulmbach und dem Kreisjugendamtes Kulmbach, vermittelt werden, sollen der Gesellschaft nützen. Warum eine Begleitung der Jugendlichen während der Maßnahme durch Fachkräfte notwendig ist.
Ast um Ast räumt Mario* weg. Der letzte Sturm hat viele von ihnen auf die Sportanlage geworfen. Wenn er damit fertig ist, wird er den Zaun am Kleinfeldplatz ausbessern. Noch sieben Arbeitsstunden. Er schnauft: „So ein Mist. Wenn ich doch nur.. aber eigentlich habe ich es ja gewusst.“
Mario ist einer von jährlich rund 100 jugendlichen Straftäterinnen und Straftätern, die derzeit - vermittelt und begleitet von Fachkräften der Jugendwerkstatt der Geschwister-Gummi-Stiftung - gemeinnützige Arbeitsstunden, umgangssprachlich „Sozialstunden“, in Stadt und Landkreis Kulmbach ableisten. Die Mitarbeiterinnen Christine Kohl und Ines Haenlein agieren seit 15 Jahren im Auftrag des Kreisjugendamtes Kulmbach und in enger Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht Kulmbach. Sie beraten und unterstützen Jugendliche ab 14 Jahren, wie es nach Auferlegung von Arbeitsstunden weitergeht - auf Grund von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Verkehrsdelikten, Sachbeschädigungen, Einbrüchen, Beleidigungen oder Körperverletzungen. Gleichzeitig findet eine zügige Abwicklung der zwischen 20 und 100 auferlegten Stunden statt. Das ist auch Christoph Berner, Direktor und Jugendrichter am Amtsgericht Kulmbach, wichtig: „Zwischen dem Urteil und dem Beginn der Arbeitsstunden sollte keine allzu große zeitliche Lücke liegen. Die Tat und die erzieherische Maßnahme stehen ja im Zusammenhang.“
Infoveranstaltung
Das Ernstnehmen der Tat, und der Ableistung der Stunden bedeutet letztendlich auch den jugendlichen Straftäter ernst zu nehmen, weiß Erzieherin Christine Kohl. Sie nimmt in regelmäßigen Erstveranstaltungen für Kleingruppen zunächst die Daten der Jugendlichen auf und klärt zum Ablauf der Maßnahme auf. Oft beinhalten die Arbeitsstunden handwerkliche Tätigkeiten etwa in Seniorenheimen oder Sportvereinen. Auf Grund der Pandemie finden viele Einsätze derzeit draußen statt. „Viele Jugendliche sind sehr nervös, wenn sie zum ersten Mal zu uns kommen“, verrät die Fachkraft. „Viele möchten auch nicht, dass zum Beispiel die Schule oder der Ausbildungsbetrieb von den Arbeitsstunden erfährt.“
Erfahrung und Zugang zu den Jugendlichen
Die Auswahl der Einrichtung und die Rahmenbedingungen der Arbeitsstunden erfolgen unter Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände. Wenn die Jugendlichen beispielsweise in Ausbildung oder einem Arbeitsverhältnis stehen, sind meist nur Dienste am Wochenende möglich. Auch die körperlichen und psychischen Voraussetzungen für die jeweiligen Aufgaben werden geprüft. Gleichzeitig können die Jugendlichen Vorstellungen äußern. „Die Geschwister-Gummi-Stiftung ist in vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Diese Erfahrungen und Kompetenzen fließen unter anderem in Kooperation mit den Mitarbeitenden des Fachbereichs Jugendhilfe im Strafverfahren in die Arbeitsstundenvermittlung mit ein“, bekundet Steffen Grampp, Sachgebietsleitung des Amtes für Jugend und Familie – Sozialdienst - im Landratsamt Kulmbach seine Wertschätzung. Auch Christoph Berner spricht von einer ausgezeichneten Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht Kulmbach und einem ganz besonderen Zugang der Fachkräfte zu den Jugendlichen.
Arbeitsstunden werden kontrolliert
Für die Organisation und Kontrolle der Arbeitsstunden ist Industriekauffrau Ines Haenlein zuständig. Die Eltern der jugendlichen Straftäterinnen und Straftäter sind nicht bindend in die Maßnahme einbezogen. Manchmal, wenn diese etwa den Erfolg der Arbeitsstunden gefährden, findet sie deutliche Worte: „Wenn ein Jugendlicher oder eine Jugendliche zu oft den Einsatzort wechseln will und die Eltern vorsprechen, spreche ich schon mal deutliche Worte gegenüber den Eltern und dem Betroffenen. Das ist hier kein Wunschkonzert.“ In Ausnahmefällen, das heißt, wenn nachvollziehbare, persönliche Lebensumstände die fristgerechte Ableistung der Arbeitsstunden verzögern, kann Ines Haenlein eine Fristverlängerung beim zuständigen Amtsgericht für die Jugendlichen beantragen.
Erzieherisch statt strafend
Denn hinter dem Wort „Arbeitsstunden“ steckt keine Strafe im herkömmlichen Sinn. Steffen Grampp erklärt: „Die Verhängung von Arbeitsstunden verfolgt den erzieherischen, nicht den strafenden Gedanken. Eine unerwünschte Tat soll mit einer sozialen Leistung für die Gesellschaft ausgeglichen und die und der Jugendliche mithilfe der Arbeitsstunden zum Nachdenken und Reflektieren angeregt werden.“ Der Leiter der Jugendwerkstatt Peter Engelhardt ergänzt, dass viele Jugendliche während der Straftat wissen, welche Folgen diese hat. „Es geht darum zu lernen, dafür gerade zu stehen.“ Der Verzicht auf Freizeit sei darüber hinaus für viele Jugendliche eine weitere spürbare Form der Sanktionierung, ebenso wie die Erfahrung geregelter, tagesstrukturierender Tätigkeiten, so der Direktor am Amtsgericht Kulmbach.
Diese Maßnahme hat Erfolg: Viele der erstmals straffällig gewordenen Jugendlichen werden anschließend strafrechtlich nicht mehr auffällig. „Es sind vor allem auch die ehrlichen Gespräche mit uns, die für beide Seiten wertvoll sein können“, weiß Christine Kohl. Sie erinnert sich zum Beispiel an einen Jugendlichen, der eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner absolvierte und straffällig geworden war. „Ich habe viel mit ihm über das, was er getan hat, diskutiert, dann aber auch über Politik und die Corona-Impfung und vieles mehr. Ich war erstaunt, wie interessiert er an allem ist und seine Meinung einbringen möchte.“ Wenn sich während der Maßnahme jedoch herausstellt, dass die Jugendlichen aus sehr schwierigen Lebensumständen nicht mehr eigenständig herausfinden, können sie Unterstützung im Projekt „Respekt“ der Jugendwerkstatt erhalten.
In einigen Fällen führte dies auch zu einer Ausbildung oder einer Beschäftigung in der Jugendwerkstatt.
Zu Beginn der Corona-Pandemie ließ sich ein Rückgang der zu vermittelnden Arbeitsstunden erkennen. Die Gründe hierfür sind unter den Bedingungen des Infektions-und Gesundheitsschutzes, der erfolgten „Lockdowns“ und der damit einhergehenden grundsätzlichen Planungsunsicherheiten erklärbar. Eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeitsverfahren und Verstöße gegen infektionsschutzrechtliche Bestimmungen wurden etwa mit Bußgeldern belegt, so Steffen Grampp.
Mitarbeitende in gemeinnützige Einrichtungen, die Bedarf an Tätigkeiten aus Arbeitsstunden haben, sollten den Jugendlichen offen und aufgeschlossen sein: „Es könnte sein, dass hier Welten aufeinandertreffen“. Gleichzeitig unterstützen die Stellen und die Menschen dahinter junge Menschen auf ihrem Lebensweg.
Kontakt: Projekte für straffällige Jugendliche
Christine Kohl und Ines Haenlein, E.-C.-Baumann-Straße 4, 95326 Kulmbach
Tel: 09221 - 690 36 17, Mail: arbeitsstundenvermittlung@gummi-stiftung.de
gummi-stiftung.de/jugendwerkstatt/projekte/
*Name geändert